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Augenblick mal Der große Sprung - echt oder Fälschung?

Ein junger Mann springt in den USA auf einen Felsturm - eine Bildikone von 1886. Dem Fotografen aber ging es weder um den Sprung noch um den Fels. Ein Bild und seine Geschichte.
Foto:

Wisconsin Historical Society/ Getty Images

Schon die Zeitgenossen im späten 19. Jahrhundert hielten die Aufnahme für eine Fälschung. Und noch lange gab es Zweifel daran - wenn auch aus anderen Gründen.

Springt da jemand wirklich vom Felsplateau hinüber auf den Stand Rock, einen bekannten frei stehenden Felsturm im US-Bundesstaat Wisconsin? Und wie soll im Aufnahmejahr 1886 ein Fotograf samt Glasplatten-Negativen und Dunkelkammer (brauchte man damals noch) in dieser bizarren, einsamen Gegend zur Stelle gewesen sein?

Der Fotograf hatte Zweifel erwartet. Und genau deshalb sollte dieses spektakuläre Bild vor allem eines werden: ein Beweisfoto. Allerdings nicht für den waghalsigen Sprung.

Fotograf Henry Hamilton Bennett dachte da ganz anders. Der Mann hatte noch im Amerikanischen Bürgerkrieg gekämpft und konnte nach einem Unfall mit seiner Waffe seine rechte Hand nicht mehr benutzen. Den Beruf als Tischler, für den er in die waldreiche Gegend am Wisconsin River gezogen war, musste der gebürtige Kanadier aufgeben.

Bei seinem Onkel hatte Bennett ein wenig Einblick in die noch neue Fototechnik genommen. 1865 kaufte er sich ein Fotostudio in Kilbourn City, dem heutigen Wisconsin Dells. In der Kleinstadt lebten vor allem Holzfäller, Porträtfotografie war nicht gerade ein Riesengeschäft. Daher stellte Bennett ein Dunkelkammerzelt ans Ufer des Wisconsin-River und lichtete Besucher ab, die von ihrer Dampferfahrt ein Erinnerungsfoto mitnehmen wollten.

Immerhin: Die von der Eiszeit geschaffene Kulisse aus Sandsteinschluchten mit seltsamen Felsformationen war beeindruckend. Bennett verlegte sich auf Landschaftsfotografie und verkaufte seine Bilder als Souvenirs.

Der Springer auf dem Foto war sein Sohn Ashley. Und der sprang nicht etwa, weil er übermütig war oder seinen Vater beeindrucken wollte. Er sprang, weil der Vater es von ihm verlangte. Denn Henry Hamilton Bennett wollte etwas beweisen.

Das Problem: Unschärfe bei jeder Bewegung

In den späten Sechzigerjahren des 19. Jahrhunderts steckte die Fotografie noch in ihren experimentellen Anfängen. Fotografiert wurde üblicherweise mit Nassplatten-Negativen, also Glasplatten, die mit einer lichtempfindlichen Chemikalienmischung beschichtet waren. Die Chemikalien reagierten nur sehr langsam - daher mussten die Leute lange still sitzen. Jede Bewegung hätte Unschärfe erzeugt.

Und dies war auch der Grund, warum die Aufnahme von dem durch die Luft fliegenden Mann nicht echt sein konnte. Eigentlich.

Zwar hatte es im Bürgerkrieg (1861-1865) schon Fotografen gegeben, die Truppen mit mobilen Dunkelkammern begleiteten. Ihre Bilder aber waren durchweg statisch: Die Menschen darauf bewegten sich oft ohnehin nie mehr.

Etwas später gab es auch sogenannte Trockenplatten, die lichtempfindlicher waren, wodurch sich die Belichtungszeit verkürzte. Blieb ein Problem: Die Dauer des Lichteinfalls regulierte der Fotograf in der Regel durch Abnehmen und wieder Aufsetzen des Objektivdeckels.

Für einen Sprung durch die Luft durfte die Belichtung allerdings nur den Bruchteil einer Sekunde dauern. So schnell und präzise war niemand mit der Hand.

Die Lösung: "Snapper"

Bennett aber war experimentierfreudig. Seine Konstruktionsfähigkeit, die er ursprünglich in der Tischlerei entwickelt hatte, half ihm beim Bau transportabler Kameras und einer tragbaren Dunkelkammer. Und er bastelte an einigen Versionen eines  Kameraverschlusses, der mit Federspannung und Gummiband den Objektivvorsatz auf- und zuschnappen ließ.

"Snapper" nannte er denn auch seine Erfindung. Damit konnte er den Sprung seines 17-jährigen Sohnes in der Luft quasi "einfrieren". Das Foto war in erster Linie Beleg dafür, dass Bennetts Technik funktionierte. Aber wohl auch für den Mut von Ashley. Angeblich musste er 18 Mal springen, bis sein Vater mit dem Schuss zufrieden war.

Fotostrecke

Spring doch!

Foto: Wisconsin Historical Society/ Getty Images

Das Motiv "Leaping the Chasm at Stand Rock" wurde zur Bildikone. Es zeugte allerdings auch von Bennetts starkem Fotografenblick. Mit der Wahl der Perspektive gelang es ihm, die Aufnahme besonders dramatisch aussehen zu lassen. Die Entfernung zwischen den Felsen beträgt etwa 1,7 Meter. Das ist keine große sportliche Herausforderung, kann bei einem Fehltritt aber tödlich enden: Hier geht es gut zwölf Meter in die Tiefe.

Das Springen ist Touristen längst untersagt. Mit Erfindung des Rollfilms brachten Besucher ein paar Jahre später ihre eigenen Kameras mit. Objektivverschlüsse für unterschiedliche Geschwindigkeiten waren nun serienmäßig verbaut.

Damit für eine solche Aufnahme am "Stand Rock" niemand mehr sein Leben riskieren muss, können Teilnehmer von Bootstouren heute stattdessen Hunde bei diesem Kunststück beobachten. Für sie wurde ein Sicherheitsnetz gespannt. Soweit bekannt, ist noch kein Hund abgestürzt.

Augenblick mal!